Bestimmte, in § 2339 BGB abschließend aufgezählte Verfehlungen, die Erben gegenüber einem zukünftigen Erblasser begehen, führen dazu, dass der Erbe nicht würdig ist, die Erbschaft zu erhalten (Erbunwürdigkeit). Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Erbe den Erblasser durch Täuschung oder Drohung bestimmt hat, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder aufzuheben.
Die in § 2333 BGB enumerativ genannten schweren Verfehlungen gegenüber dem Erblasser oder gegenüber ihm nahestehenden Personen, berechtigen den Erblasser, dem Erben den Pflichtteil zu entziehen. Ein Grund für eine Entziehung des Pflichtteils ist beispielsweise gegeben, wenn ein Abkömmling dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahestehenden Person nach dem Leben trachtet.
In all den genannten Fällen kann der Erblasser dem Erben seine Verfehlung jedoch zu Lebzeiten verzeihen. Im Folgenden wird ausgeführt, welche Voraussetzungen für eine wirksame Verzeihung erfüllt sein müssen und welche Folgen die Verzeihung durch den Erblasser hat.
Die Voraussetzungen für die Verzeihung sind für die Erbunwürdigkeitsgründe und die Pflichtteilsentziehungsgründe gleich, lediglich die Folgen sind unterschiedliche.
1. Wann liegt eine wirksame Verzeihung vor?
Eine Verzeihung ist gegeben, wenn der Erblasser nach außen erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, dass er das Fehlverhalten des Erben nicht mehr als unzumutbar für eine Teilhabe des Erben an seinem Nachlass empfindet (Wegfall des Unzumutbarkeitsempfindens). Eine Versöhnung mit dem Erben oder ein inniges Verhältnis zum Erben ist zur Verzeihung nicht erforderlich. Der Erblasser muss durch seine Äußerung oder sein Verhalten deutlich machen, dass er keine Konsequenzen mehr aus dem Fehlverhalten des Erben ziehen möchte.
Die Verzeihung ist keine Willenserklärung im rechtlichen Sinne, sondern ein tatsächliches Verhalten. Sie muss höchstpersönlich vom Erblasser, d. h. nicht durch einen Stellvertreter, erfolgen und ist unwiderruflich. Für eine wirksame Verzeihung muss der Erblasser dem Erben nicht zwingend ausdrücklich verzeihen, die Verzeihung kann sich vielmehr auch aus dem Verhalten des Erblassers ergeben. Die Verzeihung ist nicht an eine bestimmte Form gebunden und muss nicht zwingend demjenigen gegenüber erfolgen, den sie betrifft.
Voraussetzung für eine wirksame Verzeihung ist jedoch ein bewusstes Verhalten des Erblassers. So ist es nicht ausreichend, dass der Erblasser die Verfehlung des Erben lediglich deshalb nicht mehr als unzumutbar empfindet, weil er sich infolge der Verfehlung innerlich von dem Erben gelöst hat und diesem zwischenzeitlich gleichgültig gegenüber steht. Umgekehrt schließt das Bewusstsein von der Verfehlung die Verzeihung aber nicht notwendig aus. Der Erblasser kann eine Verfehlung verzeihen, ohne diese zu vergessen („Vergeben aber nicht vergessen“).
2. Folgen einer Verzeihung
a) Fälle der Erbunwürdigkeit
Für die eine Erbunwürdigkeit begründenden Tatbestände regelt das Gesetz die Verzeihung des Erblassers in § 2343 BGB.
Das Vorliegen eines Erbunwürdigkeitsgrundes führt zur Anfechtbarkeit des Anfalls der Erbschaft. Die Anfechtung erfolgt durch Klage eines Anfechtungsberechtigten gegen den Erbunwürdigen.
Hat der Erblasser dem Erbunwürdigen verziehen, so ist die Anfechtung des Erbanfalls ausgeschlossen.
b) Fälle einer Entziehung des Pflichtteils
Für die Pflichtteilsentziehung ist die Verzeihung in § 2337 BGB geregelt.
Bei einer Verzeihung des Erblassers vor Errichtung einer Verfügung von Todes wegen, erlischt das Recht zur Entziehung des Pflichtteils.
Hat der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten wegen einer schweren Verfehlung wirksam durch letztwillige Verfügung den Pflichtteil entzogen, so wird diese, wenn der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten verzeiht, unwirksam. Die Unwirksamkeit beschränkt sich jedoch in der Regel auf die angeordnete Pflichtteilsentziehung. Sie erstreckt sich nur dann auch auf eine in der Pflichtteilentziehung liegende Enterbung, wenn nach dem Willen des Erblassers davon auszugehen ist, dass die Unwirksamkeit der Pflichtteilsentziehung auch zur Unwirksamkeit der weiteren Verfügung führen sollte. Möchte der Erblasser sichergehen, dass auch die Enterbung unwirksam ist, sollte er eine neue formwirksame Verfügung von Todes wegen errichten.
Wird dem Pflichtteilsberechtigten in einem gemeinschaftlichen Testament von beiden Ehegatten der Pflichtteil entzogen und verzeiht nur ein Ehegatte dem Pflichtteilsberechtigten, wirkt sich diese Verzeihung auch nur auf den Pflichtteil nach dem verzeihenden Erblasser aus. Sofern ein Ehegatte bereits verstorben ist, kann jedoch der überlebende Ehegatte dem Pflichtteilsberechtigten mit gleicher Wirkung verzeihen.
Neben der Verzeihung steht dem Erblasser jedoch auch die Möglichkeit eines bloßen Widerrufs der Pflichtteilsentziehung zu. Diese ist dann im Gegensatz zur Verzeihung auch widerruflich.
3. Darlegungs- und Beweislast für eine Verzeihung des Erblassers
Die Darlegungs- und Beweislast besagt, wer den Sachverhalt für eine bestimmte Tatsache, auf die er sich beruft, darlegen und beweisen muss.
Beruft sich der Pflichtteilsberechtigte, dem der Pflichtteil vom Erblasser wegen Vorliegens eines Pflichtteilsentziehungsgrundes entzogen worden ist, darauf, dass der Erblasser ihm die Verfehlung, die zur Entziehung des Pflichtteils geführt hat, verziehen hat, so muss er im Einzelnen darlegen, dass und wann ihm der Erblasser verziehen hat und seinen Vortrag ggf. auch unter Beweis stellen.
Auch der erbunwürdige Erbe, der sich gegen die Anfechtung des Erbanfalls wehrt, muss, wenn er sich auf eine Verzeihung des Erblassers beruft, diese darlegen und beweisen.